Gute Drehbücher schreiben... Das ist ein vieldiskutiertes und lukratives Thema, aber ein gutes Drehbuch zu schreiben ist eigentlich nicht schwer. Man braucht eine spannende Geschichte, die sich am besten als Film erzählen lässt, und sollte das Handwerk beherrschen. Das wirklich Schwierige ist, einen Produzenten zu finden. Ständig stöhnen Leute, deren Fensterbänke unter Drehbüchern zusammenbrechen, dass es keine guten "Stoffe" gibt. Aber das ist bezahlter Blödsinn.
Mir hat ein Produzent – damals jung – im Spaß gesagt: bevor er ein Buch liest, lässt er es erstmal umschreiben. Leider war das kein Witz, er fährt heute ein Auto, das so viel gekostet hat wie alle meine bisherigen Autos zusammen. In einem Buch übers Drehbuchschreiben (womit man offenbar leichter Geld verdienen kann als mit dem Verfassen von Drehbüchern, denn es gibt reichlich davon), berichtet die Autorin von Drehbuchschreibern, die sagen: Mein Buch ist doch gut, wieso muss das noch bearbeitet werden? Worauf sie zu sagen pflegt: Gewiss, es ist gut. Aber ist es auch so gut, dass es mehrfaches Umschreiben überlebt? Womit sie meistens den Job der Ersten Bearbeitung kriegt.
Billy Wilder war Drehbuchautor, bevor er Regisseur wurde. Ein Reporter fragte ihn mal, ob ein guter Regisseur auch schreiben können muss. Wilder soll geantwortet haben: Es reicht, wenn er lesen kann. Wilder erzählte auch, dass er nur Regisseur wurde, weil er es leid war, sich seine Filme von Regisseuren und Studio-Mitarbeitern zerstören zu lassen.
In der Textindustrie – dazu zählt natürlich nicht nur der Film, sondern das Verlagsgewerbe im weitesten Sinne – werden mehr Texte durch Bearbeitung ruiniert als gerettet. Kein Zweifel, ein Autor braucht ein Gegenüber, gerade wenn die Zeit knapp ist. Dramaturgen, Storydoctors und Ähnliche wiederum brauchen Autoren, denn wo kein Input ist, gibt's für sie auch nichts zu bearbeiten. Ein Romancier kann seine Kapitel ein paar Tage oder Wochen liegen lassen, um dann festzustellen, dass da noch Verbesserungspotential besteht. Wer schnell produzieren muss ("Leute, wir müssen drucken!!!") hat diese zeitliche Distanz nicht. Deshalb braucht er einen Gegenspieler, manchmal ein Team.
Also, nichts gegen die Bearbeiterzunft im Allgemeinen, aber sie sollen sich zurücknehmen. Erst lesen, dann den Text anfassen. Redigieren, editieren ist schwieriger als Umschreiben. Deshalb kann's auch nicht jeder.
Manche Drehbücher sind anfangs so simpel geschrieben, dass selbst Betriebswirte sie verstehen. Dialoge werden zunächst auf Papier gelesen, bevor einer die Chance hat, sie zu hören. In der Schriftsprache gelten andere Gesetze als in der gehörten Sprache. Wenn Frederick Lau "Alter!!!" sagt, dann wird das durch Betonung, Mimik und Körpersprache lebendig, im Buch (also auf Papier!) lesen sich solche Dialoge bescheuert. Natürlich muss hier bearbeitet werden, aber das weiß der Autor selbst. Die Geschichte muss von einem lesbaren Text in einen spielbaren überführt werden. Ein guter Autor schreibt einen Dialog in der ersten Version für die Leser seines Drehbuchs, in der letzten Version für die Darsteller, die seine Figuren verkörpern.
Jeder Autor weiß, dass er erstmal etwas Lesbares liefern muss, das das "Studio" oder eine Produktion kaufen kann. Allein beim WDR, dem Black Hole der TV-Gebühren, fallen circa 2000 Leute in Konferenzen über Drehbücher und Ideen her, und jeder muss erstmal seine Einwände, günstigstenfalls praktikable Verbesserungsvorschläge, vorbringen ("Ach Leute, das geht so nicht..."). Das große Wunder ist, dass unter all den Werken hin und wieder eine echte Idee überlebt.
Die Rettung einer Geschichte
Die Farelly-Brüder haben etwas Interessantes gemacht: Nachdem ihre Story All about Mary ("Verrückt nach Mary") bereits von Bedenkenträgern im Studio umgebracht worden war – so sollte Marys Bruder plötzlich nicht mehr behindert sein, oder er hätte behindert bleiben, dann aber nicht mehr lustig sein dürfen – haben sie das angeblich unverfilmbare Buch zurückgekauft. Dann haben sie es so verfilmt, wie sie wollten, und eine wunderbare Geschichte abgeliefert, die monatelang in den Kinos lief.
Aber nicht jeder Autor hat das Talent der Farellys, die komplette Wertschöpfungskette selbst zu kontrollieren. Deshalb sind Autoren gezwungen, sich mit Leuten in den Produktionen anzufreunden. Sie müssen gute Idee so tarnen, dass sie WDR-kompatibel sind, und diese Ideen dann in den verschlungenen Organismus der Filmwirtschaft einzuschleusen. (In hochentwickelten Organismen sehen vor allem zwei Organbereiche "verschlungen" aus, und beide eigenen sich als Sinnbild für die Filmwirtschaft, aber das führt hier zu weit.) Am Anfang ist es fast egal, ob das Buch was taugt. Die wichtigsten Texte beim deutschen Film sind die enthusiastisch formulierten Anträge auf Filmförderung, und da muss noch ein Drehbuch angehängt werden..
Einer der besten deutschen Filme entstand auf besonders raffinierte Weise. Der Autor produzierte ein brilliantes Drehbuch, das ursprünglich in einem Hochsicherheitsgefängnis spielte, ließ es von Stipendiaten des Kollegs "Gesellschaft und Film" umschreiben und das Ergebnis von drei Theaterregisseur*innen, die auf Film umschulten, überarbeiten. Normalerweise wird sowas auf arte gesendet, aber er reichte es bei einer Produktion ein, die anlässlich der Einführung der D-Mark gegründet worden war. Mit Ausrufen der Erleichterung kaufte man das Werk an und ließ es nach den Bewilligungsrichtlinien der üblichen Filmförderungen optimieren. Das wurde hauptsächlich dadurch erreicht, dass Nebenschauplätze in alle förderrelevanten Bundesländer verlegt wurden. Dann ließ man das Skript nach dem System der Mehrfachverschlüsselung noch dreimal umschreiben, und am Ende jubelte man dem Regisseur das leicht verbesserte Originaldrehbuch unter. Er wurde zwar misstrauisch, aber da er seinen beruflichen Erfolg auch der Fähigkeit verdankte, beizeiten die Klappe halten zu können, verfilmte er es und schuf ein unvergleichliches Werk. Sie ahnen, welchen Film ich meine.
Hin und wieder liefern deutsche Autoren, die sich aus Gründen der besseren Vermarktung amerikanische Pseudonyme zugelegt haben, gute Geschichten ab, die sie von amerikanischen Agenten in Hollywood verkaufen lassen. Andere leben von Preisgeldern und den Petit Fours, die bei Festivals abfallen, oder gehen in die Kultur. Die meisten haben ihren Frieden mit dem System gemacht. Ein ungewöhnlich begabter Autor allerdings soll kürzlich 29 Qualitätsdrehbücher verbrannt haben, um sie vor der Bearbeitung zu bewahren. Aber vielleicht war ihm in seiner unbeheizten Wohnung auch nur kalt.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!