Die 40-Fuß-Katamarane der "Extreme-40-Einheitsklasse" sind Rennmaschinen, die vergrößerten Strandkatamaranen ähneln. Es braucht Athleten an den Schoten und kaltblütige Steuerleute, um die Carbon-Kisten auf engstem Raum unter Kontrolle zu halten.
"Red Bull" mit Tornado-Meister Roman Hagara an der Pinne und Will Howden
Der Luvrumpf unseres Extreme-40-Katamarans „Red Bull“ fliegt zwei Meter über dem Wasser dahin, dann geht’s abwärts, und der Rumpf setzt hohl klatschend auf. Steuermann Roman Hagara (45) zieht an der Pinne und zwingt das Boot auf den neuen Kurs, ein Bär namens Craig Monk reißt an der Gennakerschot. Das ganze Schiff beschleunigt, als sich das bunte Vormwind-Segel öffnet und zieht wie ein Stier. „Wenn du an der Wendemarke den Luvrumpf nicht runterkriegst, bohrt sich der Leebug ins Wasser und du gehst überkopf“, sagt Hagara. Der Österreicher hat zwei olympische Goldmedaillen und diverse Meistertitel und weiß, wovon er spricht.
Nochmal im Klartext für Landbewohner: Die Regattayachten, mit denen in der „Extreme-40“-Klasse gesegelt wird, sind 40 Fuß (12,19 Meter) lange Katamarane aus Kohlefaser, zwischen den Rümpfen ein grobmaschiges, stramm gespanntes Netztrampolin. Das Material der Seile, mit denen die Segel bedient werden, sind Kunststofffasern, die auch in der Panzerung von Kampfhubschraubern verwendet werden. Wenn hier etwas reißt („bricht“, im Segler-Jargon), gibt’s Verletzte. Wenn die Schiffe kentern, krallt sich die Crew ans Trampolin oder stürzte fünf, sechs Meter in die Tiefe. Wer Glück hat, trifft dann auf Wasser und nicht auf Hardware. Ab Windstärke drei tragen alle an Bord Helme.
Zehn dieser Katamarane jagen über die Bucht vor Trapani an der Nordwestecke Siziliens und liefern sich drei Stunden lang ein Rennen nach dem andern. Tags darauf wird im Hafen vor einer Zuschauertribüne gesgelt. Die Wettfahrten dauern nur TV-gerechte 12 bis 20 Minuten. Nach einer kurzen Pause geht’s weiter. Vor fünf Jahren wurde die Klasse gegründet, seitdem hat sie sich etabliert. Zunächst wurde nur fünf Rennen in Europa gesegelt, dann kam 2009 die Asien-Serie hinzu, 2011 die USA (Boston) und für 2012 stehen Brasilien und Australien im Programm. Der Zirkus umfasst nach wie vor nur ein Dutzend Mitglieder, darunter ein Trainingsboot. Aber die Gastspiele des „Extreme-40-Circus“ werden mehr.
Der Senior unter den Steuerleuten ist der mehrfache Europa- und Weltmeister Roland Gäbler (46) aus Bremen. Bei den Rennen vor Sizilien lässt er sich vertreten, weil er gerade Tornado-Europameisterschaft segelt, was ein wichtiger Schritt für die geplante Olympia-Teilnahme 2012 ist.
Der Weltklasse-Segler Rod Davies hat kürzlich die Frage aufgeworfen, ob hier nicht Sport dem Kommerz geopfert wird, ob nicht Rennen unter irregulären Bedingungen (Flaute oder drehender Wind) gestartet werden, nur um Sendezeiten für die Sponsoren nicht zu verpassen. Tatsächlich ist in fünf Jahren nur eine Regatta ausgefallen. Das wäre bei Weltmeisterschaften, „normalen“ Vereinsregatten oder Großveranstaltungen wie der Kieler Woche undenkbar. Andererseits kann zur Klasenregel erhoben werden, dass unter allen Bedingen, unter denen man segeln kann, auch gesegelt wird. So ist das bei Hochseerennen, und so ist es bei den Extreme 40s.
Dass es sich um echten Sport handelt, dafür spricht das Teilnehmerfeld. Die besten Segel-Teams der Welt sind am Start (vergleichbar den Formel-1-Rennställen): Emirates Team New Zealand, die auch im America’s Cup und im Volvo Ocean segeln, Edmond de Rothschilds „Gitana“-Team, das bei internationalen Hochseerennen in der Spitze mitmischt, das Schweizer Team „Alinghi“, das nach zwei America’s-Cup-Siegen und einer Niederlage wieder in der Weltspitze mitmischen will. Kein Schiff, auf dem nicht Olympia- oder America’s-Cup-Teilnehmer an den Winschen kurbeln und die Segel trimmen. „Normale“ Regattasegler wären auf den Kohlefaser-Rennern überfordert.
Dabei sind die Boote nicht einmal überzüchtet. Anders als bei früheren America’s Cups müssen die Segler mit einem Satz Segel für 50.000 Euro (plus 25.000 Euro für die Werbebemalung) die ganze Saison auskommen. Die Schiffe sind eine Einheitsklasse, sodass teure Materialschlachten mit Testserien und Umbauten, die die „freien Klassen“ so teuer machen, entfallen. Dank der Länge von 40 Fuß passt das komplette boot mit seinem zweiteiligen 20-Meter-Mast in einen großen Standard-Container. Damit ist das Sultanat Oman ebenso leicht erreichbar wie die englische Südküste oder Singapur. Auch der Bodensee wäre logistisch kein Problem.
Die Kritik des Neuseeländers Rod Davis richtete sich auch gegen die Bereitschaft der Veranstalter, zugunsten des Werbe-Marketings den Sport in den Hintergrund zu stellen. Roman Hagara hält diesen Einwand für wenig zutreffend. Es gibt heute keinen Sport mehr, der in der internationalen Spitze ohne Geld, sprich Sponsoring, betrieben werden kann, nicht mal Leichtathletik. Hagara: „Und es wollen fremde Top-Segler in die Extreme-40-Klasse, die sich hier Impulse für ihr eigenes Training holen.“ Wegen der unglaublichen Geschindigkeiten und der kurzen Wettfahrten müssen Segler hier einen Überblick haben wie Kampfpiloten oder Formel-1-Rennfahrer. Starboot-Olympionike Craig Monk: „Wenn du auf einem Extreme 40 warst, hast du danach auf dem Starboot das Gefühl, dass du für alles unendlich viel Zeit hast.“ Andere, wie der Engländer Ben Ainslie, der 2012 sein viertes olympisches Gold in der Einmann-Klasse „Finn-Dinghy“ anpeilt, segeln Extreme 40, weil man Athletik, blitzschnelle Entscheidungen, Bootsbeherrschung und vorausschauende Taktik gleichermaßen trainiert. Es wird nicht um Preisgelder gesegelt.
Das letzte Rennen an einem windigen, sonnigen Spätsommertag im Hafen von Trapani. Das österreichische Team ist bisher konstant im vorderen Mittelfeld gesegelt. Hagara legt einen perfekten Start hin, trifft die richtigen taktischen Entscheidungen, und gewinnt Zweikämpfe. Alle Manöver klappen, er trifft auf der Zielgeraden ein, bevor Ben Ainslie ihn zum Ausweichen zwingen kann. Die österreichischen „Bullen“ gewinnen, das Publikum an Land jubelt, und anschließend segelt Hagara noch eine Runde mit Gästen.
Es ist reine, beglückende Segelei. Und es war aufregender Sport.
http://www.extremesailingseries.com
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!