Wellenbrecher am Strand bei Tel Aviv. Kein Einlaufen bei Seegang

Eine israelische Yacht nähert sich der Küste bei Tel Aviv. Es weht starker auflandiger Wind, und ein Sturmtief bei Griechenland hat eine hohe Dünung aufgeworfen. „Jetzt müssen wir beten, Leute“, sagt der Skipper und greift das Ruder fester. Ein Brecher legt das Schiff quer, der Kiel kracht auf Grund, die Crew fliegt über Bord und schwimmt an Land. Das Schiff ist ein Totalverlust. „Nun ja“, sagt der Skipper, „wir hätten stärker beten müssen.“

Diese möglicherweise nicht ganz wahre Geschichte erzählt Eitan Friedlander im Café neben dem Hafenmeister der Tel Aviv Marina. Ich habe den Verdacht, dass er damit nicht nur die nautischen Verhältnisse an Israels Küste meint. Aber natürlich hat sie einen wahren Kern. Bei auflandigem Wind und starker Dünung sind manche Häfen an Israels Küste nicht anlaufbar, zumindest es gefährlich. Nicht anders als in anderen Häfen, vor denen weiter Seeraum liegt, etwa an der portugiesischen Küste.

Es ist eine wunderbare Abendstimmung vor Tel Avivs Hilton Beach. Die Surfer reiten auf tollen Wellen, eine Yacht läuft bedrohlich schlingernd (und natürlich ohne Grundberührung) ein. Friedlander hat ein Problem: Er muss die Sail 2016 verschieben, Israels größtes Segelfest. Die Dünung vor dem Hafen ist wegen eines lokalen Sturmtiefs so stark, dass für kleine Boote und Sportgeräte – Laser, Optis, Jugendkutter, Stand-up-Paddler – das Auslaufen am nächsten Morgen zu gefährlich wäre.

Keine einfache Sache, eine Großveranstaltung mal eben um zwei Tage zu verschieben. Marine, Polizei, Rettungskräfte und Begleitfahrzeuge sind schließlich auch noch involviert.

Vom Wetter her könnte man das Ganze auch um nur einen Tag verschieben, aber das geht praktisch nicht – am Sabbat fällt im religiösen Teil Israels fast alles aus, von der Kaffeemaschine bis zur Eisenbahn. Viele Dinge funktionieren aber doch, vor allem in Tel Aviv, nur es ist für den Ausländer unmöglich zu verstehen, was und warum. Beispielsweise bekomme ich im Hotel zwar Wein, aber kein Bier. In der Kneipe am Hafen werde ich wenig später seltsam angesehen, als ich vorsichtig frage, ob ich wohl ein Bier haben könnte. Was meinst du wohl, sagt der Blick des Barkeepers, was wir hier machen?

Mein Bekannter Dieter hat sein Schiff in einem kleinen, sympathischen Hafen auf Rügen liegen, und er träumt davon, damit nach Israel zu fahren. Er fragt sich nur, auf welchen Kanälen er den Kontinent durchqueren soll. „Bist du bekloppt?“, frage ich ihn behutsam, „warum fährst du nicht über See?“ Er hat immerhin ein 10-Meter-Schiff, und er hat alle Zeit der Welt. Aber warum will er nach Israel?

„Zum Segeln lohnt sich’s eigentlich nicht“ sagt er. „Eine gerade Küste, ständig auflandiger Wind, und die Häfen kannst du an einer Hand abzählen.“ Es ist eine  Sehnsucht, er hat da fünfzehn Jahre gelebt. Vielleicht kann ich Dieter bei der einen oder anderen Etappe als Crew unterstützen. Es ist schwer rational zu begründen, aber ich halte es für eine gute Idee, mal eben knappe 3000 Meilen zu segeln, um in einem erstaunlichen Land von Hafen zu Hafen zu schippern.

 

Es sind auch immer Liegeplätze frei, denn die Israelis sind selbst reiselustig, sie segeln gern nach Griechenland oder Zypern (180 Meilen) oder in die Türkei (400 Meilen) oder nach Gibraltar (2000 Meilen) oder in die Karibik. In den Marinas liegen zu 90 Prozent Segelyachten. Lea Cohn von Yam Yachting verchartert Boote mit und ohne Skipper, allerdings nur an Inhaber des israelischen Segelscheins. Außerdem gibt sie auf ihren Beneteaus auch Segelunterricht für den Israelischen Segelschein. Der orientiert sich am britischen Yachtmaster, hilft einem Charterer in anderen Ländern aber nicht weiter. Die israelischen Charterunternehmen sind nicht auf Ausländer spezialisiert, sondern auf die landeseigene Klientel.

Erlebnishungrige Ausländer sind natürlich trotzdem willkommen. „Wir haben eine enge Verbindung zum Meer, wir sind tatsächlich eine Seefahrernation“, sagt Eazy Swissa, der Inhaber von North Sails Israel, „unsere Vorfahren sind übers Meer gekommen, und Segeln ist Teil unserer Freizeitkultur.“ In Israels Küstenstädten gibt es an allen öffentlichen Schulen Segelunterricht. „Der Gedanke bei der Sail 2016 ist es, möglichst viele Israelis in Kontakt mit dem Meer zu bringen.“ Bei diesem „größten Segel-Event in Israel“ wird auch ernsthaft ORC-Regatta gesegelt, es ist aber eher eine „Rallye“ für Yachten, dazu gibt es Jugend- und Jüngsten-Wettbewerbe.

 

Ich gehe bei den Seepfadfindern an Bord. Die grün bemalten und mit GfK überzogenen Holzboote sind alte britische Walfangboote mit zwei Alu-Masten, die kürzeren haben nur einen Mast. Sie ähneln den deutschen Jugendkuttern, sind aber schmaler und haben weniger Freibord. Mit diesen Booten haben Mitglieder der zionistischen Freiheitsbewegung Haganah nach dem 2. Weltkrieg Einwanderer ins Land geschafft. Die Boote wurden vorher den Briten geklaut. Wenn die Einwanderer von den britischen Patrouillenbooten erwischt wurden, kamen sie in eines der beiden Auffanglager auf Zypern oder in Palästina. „Unsere Leute haben damals die Riemen mit Leder umwickelt“, erzählt Skipper Daniel, „damit sie kein Geräusch machen.“ Ich erzähle ihm, dass auch auf den beiden Kuttern, auf denen ich das Segeln lernte, die Riemen mit Leder umwickelt waren. Auch diese Kutter – ehemalige deutsche Marinekutter – wurden nächtens den britischen Besatzern (bei uns eher Befreier) entwendet.

 

Meine Seepfadfinder – vier Mädchen, fünf Jungen – pullen aus dem Hafen und setzen Segel. Ein Mädchen klemmt sich böse den Handballen am Schwertfall und weint. Skipper und Crew sehen (nachdem klar ist, dass sie überleben wird) taktvoll darüber hinweg, und nach einer halben Stunde packt sie wieder mit an und geht an die Pinne wie alle anderen. Hartes Völkchen.

 

Natürlich habe ich mich auf meinen ersten Israelbesuch ein bisschen vorbereitet. Viele Deutsche, die ich kenne, haben über die Verhältnisse im Nahen Osten und insbesondere in Israel eine sehr klare Meinung und wissen über die politischen Verhältnisse oft besser Bescheid als über die eigene Landespolitik. Trotzdem ist es keine gute Idee, allzu klar für die vielen im Großraum Israel mitei-

nander ringenden Kräfte Partei zu ergreifen. Für die Bord- und Reisebibliothek empfehle ich 1. einen guten Reiseführer, z.B. von DuMont. 2. Katharina Höftmanns "Guten Morgen, Tel Aviv", das witzige und kenntnisreiche Buch einer deutschen Journalistin aus Rostock, die seit 1993 im Land lebt. 3. „Die Libelle“ von Agententhriller-Altmeister John Le Carré. 4. Die Dokumentation „O Jerusalem“ von Collins/Lapierre, finde ich persönlich spannender und glaubwürdiger als den berühmten Einwanderer-Roman „Exodus“, der so einseitig wie kitschig ist. Und last but not least sind die Werke von Ephraim Kishon zu empfehlen. Ich habe sie in den

60er Jahren gelesen, als der Staat Israel noch relativ jung und seine Zukunft äußerst ungewiss war. Jetzt ist der Staat viermal so alt, aber was Kishon über die Israelis schreibt, ist immer noch lustig und wahr. Kishon war vermutlich gar kein Satiriker, sondern ein grundsolider Verhaltensforscher.

 

Israel ist ein kleines Land mit einer riesigen Geschichte, und auch wenn man sich in erster Linie fürs Segeln und den Verzehr von Fischen interessiert, lohnt sich ein Besuch in Jerusalem. Nicht, dass man anschließend mehr über das Judentum und den „Judenstaat“ (wie Theodor Herzl 1896 sein Buch über die Gründung eines Staates Israel nannte) wüsste. Aber wenn man dann an die Küste zurückkehrt, weiß man wenigstens, dass dieses Land nicht allein rational zu begreifen ist.

 

Eitan Friedlander erzählt mir, dass sein Vater und andere Patrioten früher mit dem Walboot nach Zypern gesegelt sind, um Einwanderer – meist Holocaust-Überlebende – abzuholen. Für seegehende Israelis dieses Schlages reicht als nautischer Ratgeber im Prinzip der Shell-Atlas. Vernünftige Seefahrer decken sich natürlich mit modernen Seekarten und dem Mittelmeer-Reeds ein, aber die Küste ist nautisch unkompliziert.

 

Israels Segler sind bei internationalen Segelwettbewerben und Weltmeisterschaften ziemlich erfolgreich. „Auf die Bevölkerungszahl bezogen haben wir die höchste Medaillendichte der Welt“, sagt Yaron Klein, einer der Organisatoren der Sail Tel Aviv. Der Jollen-Leistungssport ist in einem eigenen Verband organisiert, die Seesegler in der Israel Yacht Association, der, so ihr Vorsitzender Easy Swissa, „etwa sechs oder sieben Klubs“ angehören. Echte Israelis sind notorische Bürokratieverweigerer, obwohl die Bürokratie, wo sie benötigt wird, ziemlich gut funktioniert. Auch die Zahl der Marinas ist nicht genau bekannt. „Sieben“, sagt Ofer Dubnov, der Hafenmeister der Tel Aviv Marina., „inklusive Eilat am Roten Meer.“ Andere kommen auf mehr Yachthäfen, aber dann wird Yafo (Jaffa) mitgezählt, vielleicht auch der alte, versandete Hafen von Tel Aviv. Wichtig ist, dass man vor dem Einlaufen beim Hafenmeister anruft, ob ein Liegeplatz frei ist. „Wir haben rund sieben Gastliegeplätze am Steg, je nach Schiffslänge. Wenn Sie anrufen und reinwollen, ist auf jeden Fall Platz für Sie da“, sagt Dubnov. Falls die Einfahrt nicht von Brandung versperrt wird.

 

Israelische Fremdenführer bezeichnen alles, was nicht älter als tausend Jahre ist, als „neu“. Jaffa ist heute ein etwas morbider Fischereihafen, in dem die Fischer Haufen von Netzen gelagert haben, Netze flicken und Boote schweißen, während ihnen die Landbewohner bei der Arbeit zusehen. Auch Yachten liegen da, aber nur wenige. Die Bucht von Jaffa war bereits vor 6000 Jahren ein Naturhafen mit einer Siedlung. Das Gegenstück ist die moderne Marina von Herzliya, die weniger Flair hat, aber

praktisch ist.

 

Wo kann man hin als Segler in Israel? Syrien? Oder übers Wochenende nach Ghaza? Die Umgebung ist jedenfalls nicht mit Holland oder Dänemark zu vergleichen. Und seitdem das Rote Meer und die Suez-Route für Weltumsegler-Yachten nicht mehr in Frage kommen, liegt Israel auch nicht mehr an einer Weltumsegler-Route.

 

Eine schöne Art, das Gelobte Land auf dem Seeweg zu erreichen, ist die Teilnahme an der Zypern-Israel-Regatta von Larnaka nach Tel Aviv, die jedes Jahr im Oktober stattfindet. Für den Landfall das Gebetbuch nicht vergessen.

 

Seepfadfinder – tough und gutgelaunt

aus "SEGEL-Journal" 5/2016