Wir haben ein Riesenglück mit dem Wetter bisher, das will ich schon mal festhalten für die Tage, an denen ich das anders sehen werden, und die vermutlich auch kommen werden. Im Moment spulen wir die Meilen nur so ab („clock down“). Bis auf ein Windloch, in dem wir von der Dünung in die Mangel genommen wurden, segelten wir raumschots („broad reach“) oder mit halbem Wind („beam reach“) oder am Wind mit einem guten Schrick in den Schoten („fine reach“).
Für die nicht so segel-affinen Leser dieses Blogs: Das sind alles gute Windrichtungen fürs Schnellfahren. Nur einmal mussten wir für ein paar Stunden wirklich hoch am Wind segeln („close reach“), um wieder in den Kuro Shyo reinzusegeln, der uns im Windloch verlassen hatte.
Nachts erschien Vicky im Niedergang, übernahm eine kleine Statistenrolle im Reffmanöver, indem sie eine freie Reffleine einholte, und hielt uns dann einen kleinen Vortrag:
Teil 1 – Das Feld hat sich in zwei Gruppen geteilt, die eine, in der wir segeln, ist vom Strom Kuro Shyo begünstigt und kommt pro Stunde etwa drei Meilen schneller nach Westen. Der Kuro Shyo ist bis zu hundert Meilen breit und transportiert sechstausendmal so viel Wasser wie die Donau, rund 15 Millionen Tonnen Wasser pro Sekunde.
Teil 2 – Materialschonend reffen. Was passiert, wenn das Großsegel lange schlägt? Die Nähte werden beansprucht, vor allem an den Lattentaschen und Reffkauschen, und die Latten können brechen.
Ein bisschen Knallerei und Tuchschlagen lässt sich nicht vermeiden, aber generell sollte man Reffmanöver doch zügig durchführen. Als wir vorgestern im Windloch steckten, ging es den halben Tag so: Das Großsegel schlägt zur einen Seite – Bang! – die Schot knarrt und knackt im Baum, der wie eine Trommel jeden Lärm verstärkt, rumms schlägt der ganze Kram zur anderen Seite. Das Vorsegel füllt sich knallend und versucht, sich auf der falschen Seite aufzufüllen, und dann das ganze zurück. Und wieder von vorn. Sachte wiegt sich die kleine Schaluppe in der Dünung? Der Dichter kann mich mal!
Wir sind bei Vollmond gestartet, jetzt haben wir Halbmond. Wie die Zeit vergeht! Achter Tag auf See! Über 1600 Meilen geschafft, heute Abend werden wir die 4000-Meilen-bis-zum-Ziel-Marke erreichen. Die letzte Nacht war kalt und klar, und ich sah zufällig auf die Uhr und es war zwölf Minuten nach Acht.
Tatort-Zeit! Ich stellte mir unseren Kaminofen vor und ein Glas Wein mit meiner Frau Birke... und dann dachte ich: du Dussel! Wir segeln doch mit Tokio-Zeit. In Deutschland ist es doch erst zwölf. Wahrscheinlich frühstückt sie mit den Jungs!
Mir gegenüber macht Tobi Cornedbeef-Büchsen auf. Unsere Büchsenöffner sind Schrott, also holt er sein Schweizer Messer raus (das mir bei einer riesigen Maisdose schon mal zum Sieg verholfen hat). Dann erscheint Co-mother Edward in der Galley und zeigt ihm einen Trick: Cornedbeef-Dosen haben einen integrierten Reißverschluss, man wickelt sie auf. Leider schneidet er sich dabei ernsthaft in den Finger.
Also springe ich mal kurz als Küchenhilfe ein. Obwohl ich noch so viel zu erzählen hätte. Zum Beispiel von meinem ersten Sonnenaufgang auf dieser Reise. Bisher war der nämlich immer vom Nebel verschluckt worden oder auf die andere Wache entfallen.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!