Die gesamte Backbordwache sitzt unter Deck in der Messe – der Begriff „Salon“ passt hier nicht und auch nicht „Kajüte“ – und schaufelt einen wunderbaren Salat aus Mayonnaise, Süßkartoffeln, Äpfeln, Schinken, gebratenen Zwiebeln und getrockneten Tomaten in sich hinein. Wir sind spät dran, denn wir waren eine halbe Stunde länger auf Wache. Den ganzen Morgen sind wir unter Spinnaker dahingerauscht.
Um 10.30 Uhr ging ich unter Deck, um Logbuch zu führen, da rief Vince im Auftrag von Wachführer Jonathan (der am Ruder stand) an und fragte, was der Wind eigentlich so macht. Wir können die gesamten Winddaten der letzten Stunden in Grafiken anzeigen, und die Grafik „Windspeed“ zeigte einen kontinuierlichen Anstieg auf über 30 Knoten mit Spitzen von 39 Knoten an.
Noch kein Sturm, aber tendentiell in Richtung „erhöhter Materialverschleiß“ deutend.
Die Deckswache bat mich, das Skipper Vicky mitzuteilen, die sich aus ihrer Koje meldete und sagte: „Hab’s mitgekriegt, Harry geh schon mal an Deck“. Ende des Logbucheintrags.
Wir nahmen den tennisplatzgroßen Spinnaker weg, und das ist ein respekteinflößendes Schauspiel, selbst wenn Leute am Werk sind, die ihr Handwerk verstehen. Auf jedem Tampen steht ein immenser Druck, das Tuch ist natürlich nicht mit Menschenkraft zu halten, wenn der Wind die Lufthoheit zurückgewinnt. Die Spectra-Fallen knacken unter Spannung wie riesige Drahsaiten. Glückliche Gesichter, als wir den Riesenlappen an Deck haben und in die Messe schieben.
Der „Kopf“ des Spinnakers wird unter Deck bis in den Bug, die „Ecken“ (clew = Schothorn, tack = Hals) werden in die Crewquartiere an backbord und Steuerbord gezogen. Das ganze Schiffe ist jetzt mit Spinnakerteppich ausgelegt. Die drei Tuchwürste werden mit Wollfäden zusammengebunden, und so kommt das Riesensegel in seinen Sack. Beim nächsten Setzen platzen die Wollfäden erst, wenn der Segelkopf den Masttopp erreicht hat. Dann entfaltet sich der Spi und zieht.
Wir sind über 24 Stunden unter Spi dahingerauscht, es war fantastische Segelei. Gestern Nacht rief Jonathan: „Three thousand nine hundred ninety nine miles to go!“ Und jetzt, am Mittag danach, haben wir schon ein Drittel der Gesamtstrecke geschafft.
Mit dem Spinnakerbergen war es natürlich nicht getan, davor hatten wir erstmal das Stagsegel gesetzt. Und davor jede Menge Standardjobs erledigt:
Bilgen gecheckt, hochbelastete Tauwerk ent- und neubelastet (um Bruch vorzubeugen), konventionelles Logbuch (stündlich), elektronische Daten (halbstündlich) eingetragen. Küchendienst und Kloputzen (dreimal täglich).
Es ist städnig was zu tun, und die Stammcrew, wie ich die Round The Worlders mal nennen möchte, weist uns geduldig und systematisch in unsere Aufgaben ein. Heute und auf den vergangenen Wachen habe ich unter Dougs und Gregs wachsamen Augen und hilfreichen Erklärungen ein paar Stunden den Spi gefahren. Das geht im Prinzip wie auf kleineren Booten auch, nur das Gefahrenpotential ist größer und Schäden sind teurer.
Vicky hatte uns für heute ein kleines Sturmtief angekündigt, dessen Vorboten schon am Horizont heraufziehen (der Wind ist ja schon da, wird aber noch zulegen). Und als nächstes soll noch ein richtiges Tief mit viel Regen kommen. Das hier ist vielleicht der letzte Blog, den ich gemütlich in Sweatshirt und langer Stoffhose schreibe. Danach wird es vermutlich feucht und ungemütlich.
Also, bis dann!
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!