Der gestrige Blog fiel nicht aus technischen Gründen aus, sondern weil der Kampf gegen die allgegenwärtige Nässe und genügend Schlaf Vorrang haben.
Davon bei Gelegenheit mehr. Ich habe aber auch eine super Ausrede: Ich kann auch heute noch den ganzen Tag unter dem Datum 30. März liefern. Denn heute morgen um halb neun erschien die Leiterin der Navigationsabteilung und verkündete, dass wir die Datumslinie überquert haben.
Ich blicke jetzt nicht mehr nach Westen, wenn ich an zu Hause denke und stelle mir vor, dass ich meinen Lieben elf Stunden in der Zeit voraus bin, sondern nach Osten, Richtung Amerika und Atlantik, und stelle mir dabei vor, dass sie, wenn ich frühstücke, schon zwölf Stunden weiter sind und das Abendessen schon hinter sich haben. Vermutlich sahen die Mahlzeiten auch etwas ziviler aus. Hier essen wir zwar auch gut, aber es sieht wild aus. Dauernd klettert jemand über deine Beine, weil du dich in Luv mit den Füßen am Küchentresen abstützten musst. Wir sind eine Horde höflicher Wikinger. Die einen zwängen sich in ihr Ölzeug, daneben trinkt jemand Tee, und zwei essen, während ihre Nachbarn darauf warten, dass das Klo frei wird.
Es passiert so viel, dass ich nach ein zwei Wachen schon wieder vergessen habe, was wir alles gemacht haben. Heute auf der Wache von 6 bis 12 Uhr haben wir das Sturmsegel weggenommen, den Yankee 3 an Deck gebracht und gesetzt, das Sturmsegel weggestaut, den Yankee 2 an Deck geholt, den Yankee 3 weggenommen und den Yankee 2 gesetzt. Zwischendurch haben wir aus- und wieder eingerefft, und Energiebündel Roser ist auf den Baum gestiegen, um in situ einen gebrochen Großsegel-Rutscher zu ersetzen. Am Yankee 3 hat sie auch was genäht, bevor wir ihn weggepackt haben.
Ich erwähnte gerade ein Sturmsegel... Dieses Vorsegel – mit roten Ecken und Markierungen – kommt in der Praxis fast nie zum Einsatz, weil man mit drei Reffs und Stagsegel eigentlich das gesamte Wetterspektrum im Griff hat. Aber gestern war es so weit. Nachmittags auf der 12-6-Uhr-Wache hatten wir gerade vom Yankee 3 auf den etwas größeren Yankee 2 gewechselt. Ich fragte mich, warum wir nicht gleich auf den großen Yankee 1 gegangen waren oder, mit einem kleinen Schrick in den Schoten auf den Spinnaker – beides übrigens mit viel Arbeit verbunden. Doch Vicky ließ halsen, und schwupps war wieder mehr Wind da. Wir refften das Groß, und dann konnten wir gleich das nächste Reff einziehen, und es dauerte nicht lange, da fuhren wir unter Reff 3 und nahmen den Yankee weg.
Eine Stunde nach dem Ablaufen des Windes hatten wir schon echten Sturm. In der Galley polterten einige Vorräte in den mittlerweile halbleeren Stauräumen, die Schläfer verkeilten sich in den Leesegeln ihrer Kojen, und es ging tonnenweise Wasser übers Deck. Das Frontensystem von Tief Chippie (bordinterner Name) hatte uns erreicht.
Als unsere Wache nach Sonnenunergang unter Deck verschwand, mussten Jonathan, unser Wachführer, und der erfahrene Greg gleich rauf - als Verstärkung für die Steuerbordwache. Als wir dann um 22 Uhr an Deck erschienen, galt die Regel: alle immer anleinen (die gilt nachts sowieso), jetzt aber am kurzen Stropp. Der Rudergänger hatte einen Extra- Sicherheitsstropp bekommen und war dreifach festgebunden. Außerdem stand ihm – zusätzlich zum üblichen helm buddy, der dem Rudergänger alles abnimmt, was den vom Steuern ablenken könnte – ein zweiter Rudergänger am zweiten Steuerstand zur Verfügung. Der zweite Rudergänger greift nur auf Zuruf ein und ist damit so eine Art Servolenkung für die heftigsten Belastungen. Er soll aber vor allem in Sekunden einspringen können, wenn beim anderen Ruder ein Kabel bricht oder der Rudergänger durch eine Welle außer Gefecht gesetzt wird (z.B. durch Rippenbruch).
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!