Wieder ein harter Arbeitstag, aber sehr befriedigend im Ergebnis. Wir fahren unter „poled out headsail“, also ausgebaumtem Vorsegel, was die wenigsten von uns schon mal auf einem Clipper 70 gemacht haben. „Switzerland“ gurkt wie betrunken durch die See, das liegt am Seegang.
Leider haben wir ein paar Plätze verloren, obwohl wir genauso viel Strecke gesegelt sind wie die anderen. Den Vormittag habe ich mit Schlafen, gründlicher Körperpflege und Klamottenwechsel verbracht – was für ein Genuss!
Und es war auch gut, dass ich nicht geschrieben habe, wie geplant. Denn ein munterer Blog hätte nicht zum Rest des Tages gepasst.
Zum Mittagswachwechsel erinnert Vicky die versammelte Crew daran, wie wichtig es ist, ständig angeleint zu sein, gerade bei diesem wilden Seegang. Auf dem Vorschiff sollen wir nur noch die kurzen Stropps benutzen und unseren Schwerpunkt niedrig halten.
Vicky: „Auf Derry-Londonderry ist heute morgen ein Vorschiff-Mann über Bord gegangen. Er war nicht angeleint. Sie haben siebzig Minuten gebraucht, um ihn wiederzufinden, und dann noch zwanzig, um ihn an Bord zu kriegen.“ Als ich das hörte, dachte ich: Der Mann ist tot.
Doch zum Glück trug Andrew einen Trockenanzug und eine Rettungsweste. Er hat den Unfall mit einer schweren Unterkühlung, ansonsten aber heil überstanden. Der Skipper der Derry-Londonderry hatte mit ihm an diesem Morgen Dienst und stoppte sofort die Jacht, nachdem Andrew über Bord gegangen war.
Weitere Informationen und ein Video der Rettung gibt es auf Clipper Latest News.
Vor einiger Zeit habe ich fürs „Segel-Journal“ über den Rettungssender AIS-PLB berichtet, der Text befindet sich auf dieser Seite. Mein Fazit damals: Nur wer (elektronisch) ruft, wird auch gefunden. Ein Rettungssender am Mann, der nicht die internationale Rettungsmaschinerie in Gang setzt, sondern über UKW das eigene Schiff und alle Schiffe in der Nachbarschaft alarmiert und zum Verunglückten führt, kann die Suchzeit minimieren. In Deutschland gibt es ein paar verwaltungstechnische Probleme, die lassen sich aber umgehen.
Ich habe über die orangefarbenen Sicherheitsleinen auf den Clipper-Jachten tausendmal innerlich geflucht. Sie sind eine Pest. Man stolpert über sie, sie behindern einen bei jedem Manöver, und sie verwandeln behende Menschen in tapsige Marionetten. Trotzdem sind sie nötig. Diese Schiffe bewegen sich mitunter abrupt, und vom Drehpunkt in der Mitte bis zum Bug oder zum Heck sind es zehn Meter – das sind gewaltige Hebel, an denen wir hier herumgeschleudert werden.
Die großen Seen sind nur in der Ferne langsam, direkt am Schiff schlagen sie unvermittelt zu. Und es erwischt nicht nur die Ungeschickten, sondern auch die Geübten.
Seitdem wir unterwegs sind, habe ich schon vier Stürze gesehen. Und manchmal hat man keinen Einfluss darauf, ob noch ein Schiff unter einem ist, wenn man hinfällt. Also: Gurte müssen sein, Anwendungsregeln auch. Über die Regeln kann man sich Gedanken machen, und über die Anwendungsfreundlichkeit der Gurte auch. Denn Gurte, die den Segler behindern, trägt keiner freiwillig.
Wir haben beobachtet, dass die Gurtpflicht auf anderen Schiffen liberaler gehandhabt wird als auf „Switzerland“. Wir machen aus „der Sicherheit“ aber keine Religion, und manche mogeln bei Windstärke drei auch mal mit dem Anschnallen. (Das bleibt aber unter uns.) Generell nehmen wir die Unfallverhütungsvorschriften aber ernst! Also, macht euch keine Sorgen.
Vorhin saß ich bei Sonnenuntergang an Deck und malte mir in Gedanken ein familienfreundliches Schiff aus. Welcher Segler hat das noch nicht getan!
Bei mir kommen jetzt aber einige Langstreckenerfahrungen hinzu. Das Wichtigste dürften – neben hervorragenden Segeleigenschaften und leichter Bedienbarkeit des Riggs – ordentlich getrennte Nass- und Trockenbereiche sein, eine Navigationsecke, die eine problemlose Kommunikation mit dem Rudergänger erlaubt, tolle Klos mit Handgriffen, weißem Lack und Mahagonileisten, ein heller, gemütlicher Salon mit freundlicher Birke...
Und dann war Wachwechsel, es gab Reis mit Gemüse-Curry und zum Nachtisch Pear Crumble & Custard.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!