Reisetagebuch 02.04.2014

Switzerland ClipperRace

Kritische Bemerkungen - 18. Tag auf See

Unser weiser Doktor Doug hatte uns beim Start ja vorausgesagt, dass wir uns nach einer Woche fragen würden: Was machst du hier eigentlich. Tatsächlich habe ich mir die Frage gestellt, und die Antwort war: Segeln, essen, schlafen und schreiben. Ob es so eine gute Idee war, mir einen täglichen Blog vorzunehmen, wage ich nicht zu beurteilen. Aber so nimmt die Freizeit nicht überhand.

 

Auf jeden Fall fühle ich mich auf See absolut wohl. Kein Internet, kein Alkohol, keine sonstigen Zerstreuungen. Ich habe – und dies wird meine liebe Birke kaum glauben können – noch nicht eine Zeile gelesen!

Normalerweise ist es bei uns zu Hause so: Wenn ich in den Keller gehe, um eine Flasche Selter zu holen, und nach einer Stunde noch nicht zurück bin, macht sich niemand Sorgen. Denn dann habe ich keinen Herzinfarkt oder sowas erlitten, sondern bin nur an einem Buch vorbeigekommen, das mich in seinen Bann geschlagen hat. Ich muss nur losgerissen werden („Harry!“), und alles ist wieder gut. Hier habe ich mir extra einen Kindle-Reader (Weihnachtsgeschenk meiner Jungs!) eingepackt, auf dem Mark Twains Autobiografie und ein paar andere Schmankerl auf mich warten,  aber ich habe ihn zuletzt im Hotel in Qingdao angefasst.

 

Das Wohlbefinden auf See wird nur durch die Seefahrt ein wenig beeinträchtigt. Feuchte Sachen, die immer feuchter werden, weil wir ständig Feuchtigkeit ins Schiff tragen. Wenn sich neun nasse Leute in einem Raum aus ihrem Ölzeug pellen, in dem sich vorher neun andere Leute in ihr feuchtes Ölzeug gezwängt haben, dann werden die Sachen einfach nicht trockener. Wenn kleine Verletzungen nicht heilen, weil sie ständig mit Salzwasser, Klettverschlüssen, tonnenschweren (nassen) Segelsäcken und Tauswerk in Berührung kommen, dann ist das lästig. Der Schlafsack ist beim Reinsteigen feucht und kalt, und manchmal hat er es bis zum Ende der Schlafperiode – meist um die zwei Stunden – nur bis „feucht und warm“, nicht aber bis paradiesisch gemütlich geschafft. Und wohlgemerkt, wir haben Glück mit dem Wetter, ich erwähnte es bereits. Wir kommen toll voran, Kälte und Regen sind die Ausnahme. Andererseits empfinde ich jetzt Temperaturen als warm, bei denen ich früher erschaudert wäre.

 

Beim Wachwechsel hat sich heute ein kurzes Gespräch mit Lindsey von der Steuerbordwache ergeben. Meine Leute von der Backbordwache sehe ich ja dauernd, und wir unterhalten uns oft, auf dem Cockpitboden im Windschatten liegend. Über alles Mögliche (heute Morgen Doug und ich zum Beispiel über Bahnreisen), aber nie über Politik, Sex oder Sport. Uninteressant. Jemand fragte Lindsey: „Na wie geht’s?“ – „Geht so.“ – „Genießt du es nicht?“ (War ein Witz!) – „Wie soll man das hier denn genießen.“ Das war, als ob in der Kirche jemand den Sinn regelmäßiger Gottesdienste in Frage stellt. Also sehr logisch und realitätsnah, aber auch irgendwie sehr ... ungeheuerlich.

 

Lindsey erzählte dann, dass sie die See liebt, keine Angst hat und auch nicht seekrank wird, „trotzdem würde ich es nicht wieder machen.“ Die Langstreckensegelei sei langweilig. Warum sie es dann gemacht habe? „Ich weiß es nicht. Das Abenteuer...“ Lindsey hat vor einigen Monaten einen der schönsten Blogs überhaupt über das Segeln im Southern Ocean geschrieben (ich habe unter „Leg 3“ daraus zitiert), und sie erinnert sich an die „magischen Momente“. Aber die könne man wohl nur durch die Entbehrungen gewinnen.

 

Ich fragte mich daraufhin, wie das bei mir ist. Würde ich es wieder machen?

Nein, vermutlich kein zweites Mal. Aber wenn ich mit meinem heutigen Wissen wieder vor der Entscheidung stünde, diese einmalige Reise anzutreten, wäre ich sofort bereit. Ich würde vielleicht einige Dinge bei der Vorbereitung besser machen – zum Beispiel eine wirklich wasserdichte Tasche haben.

 

Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.