„Leute, wir sind noch nicht da.“ Vicky hält beim Mittagswachwechsel einen kleinen Vortrag: „Edward ist gerade auf dem Weg zum vorderen Klo ein Feuerlöscher am Kopf vorbei geflogen, der vorher neben der Gefriertruhe festgebändselt war, und den dann jemand offenbar in der Koje mit den Lebensmitteln abgelegt hatte. Haltet bitte die Standards der Seemannschaft ein. Wir wollen ohne Verletzte ankommen, und es sind noch 500 Meilen, das ist weiter als von England über die Biskaya.“
Den Feuerlöscher hatte ich neben der Gefriertruhe festgelascht, aber ich habe ihn nicht in die Koje gelegt. Ich vermute, das Gefriertruhen-Reparaturteam hat ihn abgenommen und nach der Arbeit an der Truhe nicht wieder festgebändselt. Ist auch eine komplizierte Arbeit, denn man muss den Löscher im Brandfall ja schnell wieder loskriegen. Und dass er Edward fast an den Kopf geflogen ist, liegt daran, dass wir auf ungewohntem Steuerbordbug (engl.: port tack) segeln und reichlich Lage schieben.
Letzte Nacht hat mich das erste Mal mein Kojensicherheitsgurt aufgefangen.
Es ist eine einfache Schlaufe nach dem Prinzip der Rettungsschlinge, die zwar nicht verhindern kann, dass ich aus der Koje falle, die aber dafür sorgt, dass ich nicht mit dem Kopf, sondern den unteren Extremitäten zuerst an der gegenüberliegenden Wand eintreffe.
Ed, der letzte Nacht in der mothers bunk über mir schlief, konnte von der Möglichkeit durchzuschlafen nicht so recht Gebrauch machen, weil er dauernd davon aufwachte, dass er sich an den Schapps neben sich festkrallte, um nicht aus der Koje zu fliegen. Erst die schlaflose Nacht, und dann der Feuerlöscher...
Rein theoretisch (und wohl auch praktisch) halten uns die Kojensegel ja in den Kojen fest, aber keiner hat Lust, mit Schwung in das gespannte Tuch zu fliegen oder womöglich drüber hinweg! Die erfahrenen Round The Worlders sehen das etwas entspannter als die Leggers.
Schlafen ist schwierig, aufs Klo gehen noch deutlich schwieriger. Aber beides muss sein. Wobei man sich zum Schlafen auch mal ausnahmsweise in Lee in irgendeiner Ecke verkrümeln kann. Zum Klogang ist man aber auf unsere beiden „Heads“ angewiesen (head, weil die Toiletten früher auf den Schiffen im Bug, dem „head“ lagen). Wenn man nicht schon auf dem Weg zum head vom Schiff mit Feuerlöschern beworfen wird, kann man sich bei ruppiger See auf Klo einiges an Beulen und Platzwunden zuziehen. Der Raum ist so groß wie ein nicht zu großer Schrank, hat keine Tür, sondern einen Vorhang, und bei 30 Grad Lage muss man möglichst gleichzeitig pumpen und die Schüssel befüllen, während man sich festhält, um nicht wie ein Feuerlöscher durch die Gegend katapultiert zu werden.
Vorhin summte Roser die Melodie von „Spinning Wheel“: What goes up, must go down... Das beschreibt ganz gut die Schiffsbewegungen. Und was das Essen angeht, gilt: Was rein geht, muss auch wieder raus. Es ist also durchaus gute Seemannschaft, wenn man vor dem nächsten Sturm noch mal gemütlich zu den heads geht, und sich in einer Schlechtwetterphase nicht der Völlerei hingibt.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!