Einen Tag vor der Abreise bin ich aufs Schiff gezogen – ich hatte „Switzerland“ zunächst für mich allein. Ein riesiges Schiff, wenn man es sich nicht mit 18 Leuten teilen muss. Dann ist es zwar immer noch groß, aber auch sehr eng. So ähnlich muss das Leben auf einem U-Boot sein.
Doug, unser Bord-Doktor, warnt uns: Nach einer Woche werdet ihr ziemlich fertig sein. Es ist ein Schock für den Körper. Wenn es euch nicht gut geht, sagt Bescheid. Wenn ihr euch nicht zurecht findet, auch. Das kommt alles mit der Zeit.
Jonathan, mein Wachführer, ist Franzose, spricht aber Englisch, als hätte er nie etwas anderes getan. Manchmal ist er schwer zu verstehen. Ich habe das Gefühl, dass einigen inzwischen aufgefallen ist, dass ich akustisch manchmal ein wenig schwer von Begriff bin. Jonathan redet inzwischen viel deutlicher – oder habe ich mich nur dran gewöhnt? Bis mir das Bordleben in Fleisch und Blut übergegangen ist, werden noch ein paar Tage vergehen. Hoffentlich nicht ein paar Wochen.
Es geht alles ziemlich planvoll zu. Die Sicherheitseinweisung für die Crew hat gefühlte zwei Stunden gedauert. Der „Refresher Sail“-Lehrgang fast den ganzen Tag. Jonathans Crew-Briefing heute morgen eine Stunde. Die Round The Worlders, die schon seit Anfang September dabei sind, tun alles, den „Leggern“ die Akklimatisierung zu erleichtern.
Nun zum unterhaltsamen Teil. Bei der Abschiedszeremonie für die Crews heute morgen spielten andere Bands als bei der Begrüßung der Schiffe, aber es waren wieder zwei einhundert Frauen starke Trommelgruppen, dazu eine Militärkapelle in anderen Uniformen. Beim Abmarsch der Crews zu den Schiffen spielten alle Bands gleichzeitig, dazu dröhnte aus den Lautsprechern „It’s my Life“. Auf der Mole jubelten einige tausend Chinesen, für jedes Schiff wurde Rauchfeuerwerk abgeschossen. Aus der Ferne prasselten Salven von leichteren Kanonenschläge. Dann segelten wir Parade vor Qingdaos imposanter Skyline, die im Vormittagsdunst wunderschön aussah. Schließlich erfolgte der Regattastart. Sonnenschein, leichte Brise aus Ost – hervorragend. Die Regattaleitung brach das Rennen aber bald darauf ab, es war nur ein Prolog fürs Publikum. Wir durchqueren jetzt das Gebiet der Fischerflotten und Fischfarmen und ein Verkehrstrennungsgebiet, dann erfolgt der eigentliche Start.
Gestern habe ich den Herd auseinandergenommen und Segel genäht, heute ein paar Zeisinge gestickt (bzw. genäht und betakelt), mit chief victualler Greg ein Spectra-Tau von seinem Mantel befreit und Segelflicken produziert.
Dann gab’s Nudeln. Roser hat mit Ralph „Mothers“-Dienst, ein Job, vor dem mir graut. Man macht für die ganze Crew das Essen und heiße Getränke und wäscht ab und muss wisssen, wie Porridge kochen und Brot backen funktioniert und wo alles ist. Wird aber auch klappen, ging im Training ja auch.
Es gibt tausend Dinge, die man wissen muss. Das fängt bei den „Evolutions“ an (das hat nichts mit Charles Darwin zu tun, sondern bedeutet „Manöver“) und geht nahtlos in diverse Sicherheitsregeln über. Beispielsweise ist nicht nur der Aufenthalt in Milton Keynes unerwünscht, sondern auch im Valley of Death. Milton Keynes ist eigentlich eine Stadt in England – da kann man durch, aber da bleibt man nicht. Hier ist es der Bereich im Cockpit unterm Baum gemeint. Das „Tal des Todes“ ist ein Gang unter Deck, der in Querschiffsrichtung verläuft. Wenn man hier „on the high side“ sein Ölzeug auszieht und das Schiff von einer schweren See getroffen wird, schießt man kopfüber in den Ölzeugschrank in Lee. Wenn dort jemand sitzt, der sich ebenfalls gerade aus den Klamotten pellt, gibt es zwei Verletzte.
Es war ein rundum gelungener Tag. Jetzt schnell ins Bett, die Schreiberei geht im Moment ja von meiner Schlafenszeit ab! Erste Nacht auf See, bin mal gespannt, wie ich schlafe.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen, Essays und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. (Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!)