Als ich aufwache, geht es mir ... schlecht. Ich huste, die Bronchien und der Kopf tun weh, und wenn’s hier ein Büro gäbe, würde ich da heute nicht hingehen. Aber hier gibt’s ja keines. Ich beschließe, es etwa ruhiger angehen zu lassen.
Das Schiff schiebt ordentlich Lage, mein Kopf ist in der „mother bunk“ nur ein paar Zentimeter vom Winsch-Antrieb der Hauptwinschen entfernt. Aber Krach an Bord stört nicht, er ist normal. Man kann bei Krach, der nicht von den rücksichtslosen Nachbarn produziert wird, wunderbar schlafen.
Zum Frühstück esse ich Cornflakes, und als ich eine Stunde an Deck bin, geht’s mir schon fast wieder gut. Wir machen erstmal nichts, sondern genießen nur das Segeln. „Pidgin“ trippelt auf dem Achterdeck rum und macht Mist.
Ich erwähnte „Pidgin“ bisher nicht. Sie ist eine Taube, flog uns gestern nachmittag mitten auf dem Meer zu und suchte Zuflucht im Cockpit. Unser erster Gedanke war, jetzt fliegen ihnen in Nordkorea schon Tauben weg, aber dann sahen wir, dass sie beringt ist. Jetzt plusterte sie sich hin und wieder auf und nimmt am Bordleben teil. Vicky wollte sie vor einem etwas komplizierteren Spinnaker-Manöver in Sicherheit bringen, aber Pidgin fühlte sich zwischen den Winschen und der Fallenklemmen wohler. Ihr Versuch, unter Deck zu kommen, wo es windstill und gemütlich ist und es ein reichhaltigeres Nahrungsangebot gibt, scheiterte an Fred (der dafür sofort als Pigeon-Killer beschimpft wurde.) Pidgin und Pigeon sind zweierlei.
Der Nebel war leichtem Dunst gewichen. Wir sind jetzt im Rennen. Alysoun hatte mich für den Start geweckt, und ich habe ihn mir aus dem Niedergang angesehen. An Deck hätte ich mich sofort ins Heck begeben müssen. Ein „Le Mans“-Start bei Clipper Round The World funktioniert dergestalt, dass sich die Schiffe nur unter Großsegel an der Startlinie aufreihen, einer der Skipper das Startsignal für alle gibt, und daraufhin die Crews vom Achterschiff auf Vordeck dürfen, um Vorsegel zu setzen.
Seitdem wir racen, ist das Leben nicht stressiger geworden, was zum Teil dem guten Wetter zu verdanken ist. Es ist in allem aber mehr Konsequenz. Bei Flaute trimmen wir nach Lee, Vicky gibt beiden Wachen Trimmunterricht – mit welchen Feineinstellungen man das Schiff einen Hauch schneller machen kann.
Es geht um Fallspannungen, Leetrimm der Crew bei Flaute, den Einfluss des topping lift auf das Profil des Großsegels.
Mit meinen Englischkünsten unter der Rubrik „hören und verstehen“ geht es eher schleppend voran. Wahrscheinlich kommt der Durchbruch noch. Meine Mit-Mother Aly weist mich aus gegebenem Anlass darauf hin, dass man die „bowl“ (Schale) für Cornflakes nicht wie „baul“ ausspricht. Dieses Wort gibt es nämlich auch, es schreibt sich „bowel“, und da kommen die Cornflakes erst ganz zum Schluss hin, bevor sie uns wieder verlassen.
Die Stimmung an Bord ist gut, für die Round The Worlders ist es bisher ein Spaziergang. Die anderen lernen, lernen, lernen (ich jedenfalls). Aber wir sind schon jetzt ein Team, mit dem man das Schiff sicher an ziemlich jeden Platz der Welt bringen könnte (außer Switzerland). Und ich glaube auch, recht schnell.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der Switzerland sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen, Essays und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. (Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!)