Heute hatte ich zwei Nachtwachen: von 18 – 22 Uhr, dann Freiwache, dann von 2 – 6 Uhr. Um 18 Uhr ist es stockfinster. Die neue Wache sitzt in Luv an Deck, wir rauschen unter Yankee 1, Stagsegel und vollem Groß dahin. Nix zu tun, wir genießen und staunen.
Vince, der aus Fife in Schottland stammt und exzellent Deutsch spricht (Hochdeutsch, Bayrisch und österreichische und Schweizer Varianten) zeigt aufs Wasser und fragt mich: „Wie würdest du das auf Deutsch bezeichnen?“ – „Das ist Meeresleuchten, sieht aus, als ob wir durch Diamanten segeln.“ Die Bugwellen zeichnen funkelnde Schleppen in die See, das Heckwasser leuchtet wie von unten angestrahlt. Ein solches Meeresleuchten habe ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Aber das ist noch nicht alles in dieser Nacht.
„Hat es gerade geblitzt?“, fragt Vincent. Ich hatte auch den Eindruck, es ist aber kein Donner zu hören. Eine halbe Stunde später blitzt es, dass der ganze Himmel für Sekunden taghell ist. Der Wind geht weg, wir reffen aus, dann fängt es an zu regnen. Das Meer funkelt, wo die Regentropfen auf die Wasseroberfläche klatschen.
Als wir von außen schön nass sind, gehen wir unter Deck, Freiwache.
Natürlich hat der Regen seinen Weg von unten in die Ärmel gefunden - wenn ich Ölzeugkonstrukteur wäre, würde ich Ölzeug mit Neoprenmanschetten in verschiedenen Weiten anbieten. Ich behalte meine Second-Layer-Jacke von Musto einfach an, so wird sie am schnellsten trocken. Auf normale Weise trocknet hier nichts mehr, die Luftfeuchtigkeit beträgt 100 Prozent, und hin und wieder tropft Schwitzwasser auf meinen Laptop.
Ich schlafe wunderbar, dann weckt mich Aly vom Steuerbord-Weckdienst. „Harry, time to get up!“ Die Wache fängt wieder einigermaßen faul an. Wir segeln gut, reffen aus, und später am Morgen schlägt Roser vor, den Kite zu setzen, also den Spinnaker. Die Vereinigte Schiffsführung zieht es aber vor, den Yankee 2 an Deck bringen zu lassen, denn wir sind kurz vor der Südspitze Japans, und dann müssen wir höher an den Wind gehen, der allein dadurch schon stärker erscheint, er wird aber auch real noch auffrischen.
Als es heller wird, stellt sich heraus, dass die Jacht „One DLL“, die wir nachts eingeholt hatten, unter Spinnaker in Lee davonzieht. Vicky ordert den Kite, wenn’s auch nur noch für ein kurzes Stück ist. Jetzt haben wir drei Amwind-Vorsegel vorn: Yankee 1 und Stagsegel sind gesetzt, Yankee 2 ist angeschlagen, nun kommt der Spi dazu. Wir wuchten Segelsäcke an Deck, wuchten Segel nach vorn, wuchten Segel unter Deck. Es regnet nicht mehr, deshalb bin ich jetzt von innen nasser als von außen.
Als es Zeit zum Wachwechsel ist, nutzt unser Skipper Vicky die Gelegenheit, beide Wachen an Deck zu haben, um den Yankee 1 zu bergen. Es ist ein Riesensegel, das auf Raumschotskursen nur mit reichlich Manpower zu bändigen ist. Es klappt alles reibungslos, ich verstehe die Kommandos oder frage nach, die Zusammenarbeit funktioniert. Roser turnt als Nummer 1 in den Bugkorb und pickt die Yankee-2-Stagreiter ein. Sie gibt laute und gut verständliche Kommandos, außerdem ist sie glücklich, dass sie ihren Spi doch noch gekriegt hat.
Erschöpft und zufrieden gehen wir unter Deck und pellen uns aus dem Ölzeug.
„JM“ (Jacques-Michael spricht, wie ich in diesem Moment erfahre, exzellent Deutsch) hat in der Nacht Brot gebacken. Wir haben in dieser Nacht vier Schiffe eingeholt oder überholt, jetzt gibt es Bohnenkaffee und frisch duftendes Brot. Der Sata Misaki Leuchtturm vor der schroffen Küste Kyushus, der südlichste Punkt Japans, liegt hinter uns, der offene Pazifik vor uns.
Vince frühstückt neben mir und sagt: „That was fun on the bow, wasn’t it?“ – Hat Spaß gemacht auf dem Bug, oder?
Hat es.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen, Essays und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. (Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!)