Reisetagebuch 21.03.2014

Im Reich der schwarzen Schlange - Tag 5 auf See

Falls jemand diese Überschrift zu dramatisch findet – mir hat mal ein Kollege gesagt, mit einer Überschrift müsse man den Leser einfangen wie mit einem Lasso. Ich sehe jetzt förmlich vor mir, wie der Leser sich magisch angezogen fühlt von der Überschrift...

 

Egal. Wir segeln jetzt die Ostküste Japans hoch. Die Taube „Pidgin“ hat uns an der Südspitze verlassen. Auf einem ihrer drei Ringe konnten wir die Buchstaben JPN, gefolgt von einer Nummer, lesen. Sie wollte wahrscheinlich nur billig und gesättigt von ein paar geschnorrten Mahlzeiten nach Hause.

 

An der Ostküste Japans zieht ein gewaltiger Meeresstrom, der Kuro Shyo, nach Norden. Er ist Bestandteil des pazifischen Strömungssystems und hat auf Ökologie, Wärmetransport usw. einen ähnlichen Einfluss wie der Golfstrom im Atlantik. Vor allem hat er regattatechnisch die Bedeutung, dass er die Jachten, die in ihm reisen, wie auf einem Förderband nach Norden zieht. Wir lesen auf unserer GPS-Anzeige immer 3 Knoten mehr als auf der „Waterspeed“-Anzeige ab. 3 Knoten Differenz, das läppert sich.

 

„Knoten“ heißt die Einheit „Seemeile pro Stunde“, seitdem die Seefahrer vergangener Jahrhunderte die Schiffsgeschwindigkeit mit einer ins Wasser ablaufenden Knotenschnur maßen.

 

72 Meilen Vorsprung am Ende eines Tages haben oder nicht haben – das kann das Rennen entscheiden. Und wir werden mehrere Tage mit dem Kuro Shyo reisen. Er schlängelt sich – jetzt dämmert’s Ihnen! – von der japanischen Südspitze bis nach Tokyo hoch, biegt dann einmal großzügig Richtung Südosten ab und kehrt wieder nach Norden zurück. Man sollte nicht den ganzen Stromverlauf absegeln, weil dann der Vorteil durch Umwege zunichte gemacht würde, aber man darf die richtigen Abschnitte auch nicht verpassen. Unser Bord-Wetterteam unter Eds Federführung hat natürlich aktuelle Informationen über den Kuro Shyo zusammengetragen, sodass unsere Bordnavigatoren wissen, wo wir sein sollten und wo nicht. Auf See können wir darüber keine Informationen beziehen, es ist nur der Clipper-Wetterbericht und öffentlicher Rundfunk zulässig.

 

Ich brauche wohl nicht mehr zu erwähnen, dass „Kuro Shyo“ Schwarze Schlange heißt.

 

Was gestern morgen mit Champagner-Segeln (Sonne, frischer Wind, Spinnakerkurs) begann, wurde zu einer ziemlich stürmischen Angelegenheit.

Nachdem wir uns unter Spi in einer Bö auf die Backe gelegt hatten – unser Videochef Chris kocht unter Deck gerade eine köstliche Möhrensuppe – gingen wir auf Amwindbesegelung mit zunächst einem, dann zwei Reffs über. Die Jacht „Henri Lloyd“ verfolgte uns derweil unter Spi! Wir beobachteten erwartungsvoll, wann deren Mannschaft auf den Gegenwind stoßen würden, in dem wir bereits segelten, und mussten nicht lange auf das Schauspiel „Fight with the Kite“ warten. Wir dürften auch nicht besser ausgesehen haben.

 

Der Wind ist mit 30 Knoten am Anfang zwar stark, aber kein Sturm. Doch der Seegang ist völlig chaotisch, eine Folge des Kuro Shyo. Im Lauf der Nacht wächst sich der Starkwind zum Sturm mit 70-Knoten-Böen aus, und am Morgen arbeiten wir uns unter kleiner Besegelung durch die See. Aber immerhin kein Gegenwind.

 

Die Neuen an Bord trainieren das Rudergehen unter erschwerten Bedingungen und haben ihren Spaß. Hin und wieder haut eine See gegen unser Seite und überschüttet uns badewannenweise mit warmem Wasser. Dann merken wir, dass wir immer noch im Kyro Shyo segeln.

 

Skipper Vicky ist mit unserer Performance ganz zufrieden (zumal wir nach unseren Informationen vom 8. auf den 5. Platz vorgerückt sind) und rät uns, unseren Kram in Ordnung zu halten. „Das war der erste von einer Reihe Stürmen, die uns erwarten.“ Als ich nachts unter Deck gegangen war, um Tee und Kaffee für meine Wachkollegen an Deck zu kochen, hatte ich sie vor ihrer Koje auf dem Boden sitzen gesehen. Sie schlief in Ölzeug und Schwimmweste. Wenn es plötzlich irgendwo einen lauten Knall gegeben hätte, wäre sie in drei Sekunden an Deck gewesen.

 

 

Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race10 und hier geht's zum vorherigen Artikel.