Wir sind, wie eigentlich immer, total auf speed. Seit heute Morgen befinden wir uns im Ocean Sprint, und jede Sekunde gilt unser Sinnen und Trachten (wie eigentlich immer) der höchstmöglichen VMG. Was das ist, habe ich ja schon mal erklärt, aber falls da jemand gefehlt hat: Die velocitiy made good ist die erreichte Geschwindigkeit in Richtung aufs Ziel. Wenn man geradewegs aufs Ziel zuhält, ist die VMG gleich dem course over ground (COG). Was aber, wenn man im Zickzack schneller segelt? Dann wird die Strecke durchs Wasser länger, und trotzdem ist man – vielleicht – schneller am Ziel.
Heute Morgen rief ich eine Stunde lang die Kursdaten für Rudergänger und Trimmer aus. Das klingt etwa so: „Eight point three – ten – zero two“, kurze Pause, dann die nächsten Zahlen. Das ist langweilig, man kann es aber auch als Pause von sonstigen Tätigkeiten genießen. Ich habe mir den Sonnenaufgang genau angesehen und Peilungen von der Konkurrenz genommen, „Henri Lloyd“ und „One DLL“ sind am Horizont zu sehen.
„Nine point six – nine – three five eight!“ Die Komma-Zahl ist die Bootsgeschwindigkeit laut GPS. Die war in der letzten Nacht bei Flaute teilweise höher als der Wind, der mit der zweiten Zahl angegeben wird, weil wir quer zum Wind segelten und der schwache Fahrtwind und die Strömung die boat speed erhöhten.
Heute Morgen hatte ich den Wert „boat speed to mark“ aufs Display geschaltet, der im Moment fast dasselbe wie die VMG ist, weil der nächste Wegepunkt (die „mark“) sehr weit weg ist und genau in Richtung unserer Ocean-Sprint-Ziellinie liegt. Ich habe diesen Wert aber nicht vorgelesen, sondern nur ständig mit der boat speed verglichen. Ergebnis: Unsere VMG ist im Bereich zwischen 350° und 005° am höchsten. Wir könnten bei manchen Winddrehungen schneller segeln, wenn wir auf Werte unter 350° anluven, aber das bringt unterm Strich nicht mehr Zielgeschwindigkeit. Das klingt alles sehr mathematisch, und in den Tiefen unseres Bordcomputers ist es das auch.
Normalerweise erledigen wir solche Sachen unbewusst im Kopf. Da unsere Sinne uns aber manchmal reinlegen, ziehen wir die Instrumente zu Rate.
Mal sehen, ob wir es schaffen, die 120 Meilen zwischen 30° und 32° Nord in der kürzesten Zeit zurückzulegen. Es kommt ja nicht darauf an, wer als erster den 32. Breitengrad überquert, sondern wer die schnellste Zeit gesegelt hat. Das kann auch der Letzte sein. Wenn Nachzügler wie „Qingdao“ und „Invest Africa“, die zur Zeit 40 Meilen hinter uns liegen, bessere Windbedingungen vorfinden, können sie schneller sein. Im Moment verkündet Bernd neue Statistik-Zahlen: Unsere VMG betrug in der letzten halben Stunde 9,2 Knoten, bei 9,1 Knoten Windspeed. Nicht schlecht! Aber wenn andere später am Tage 12 Knoten oder mehr Wind haben, reicht’s für uns nicht.
Es ist wunderbares Segeln. Sonne, angenehmer Wind, mäßig bewegte See. Das macht das Gewinnen aber nicht leichter, denn bei diesen Bedingungen segeln alle gut. Wenn’s nicht zum Punktgewinn gereicht hat, war’s immer noch ein schöner Tag.
Während des Ocean Sprints achten wir noch mehr als sonst darauf, dass jeder sich nach Möglichkeit „on the high side“, also in Luv aufhält. Ich sitze gerade in Lee, weil mein Computer Ladestrom braucht und die öffentliche Steckdose im Salon an Steuerbord ist. Beim Essen nachher – Shelly backt gerade das Knoblauchbrot zu den Pasta pesto – werde ich in Luv sitzen.
Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race11 und hier geht's zum vorherigen Artikel.
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!