Von Seemeilen und dem Rand der Welt

Switzerland harry Schack ClipperRace

Die Windward Passage war wirklich ein hartes Stück Arbeit. Das Schiff hämmerte in die See, ich flog erstmals gegen meine Koje statt hinein, und die Seekranken kämpften bei Lage, die auch Gesunden den Schweiß auf die Stirn treibt, gegen ihre Seekrankheit. Aber sie sind harte Brocken und arbeiten auch, wenn’s ihnen schlecht geht. Und jetzt ist schon wieder alles in bester Ordnung und wir segeln auf schönen Anliegerkursen durch die Bahamas hindurch.

 

Das Schönste dabei ist: Seit 24 Stunden gelingt es „Great Britain“ nicht, an uns vorbei zu kommen. Sie schieben sich mal von links, mal von rechts an uns ran, aber dann fallen sie auch wieder zurück. Als ich das letzte Mal in die Koje ging, hatten wir den Abstand schon wieder von einer halben auf 1,4 Meilen ausgebaut, jetzt sind sie wieder auf eine halbe Meile rangekommen.

Da „GB“ schon etliche Races gewonnen und diverse zweite Plätze gemacht hat, bedeutet das für uns, dass wir von der Geschwindigkeit her mit einem der Schnellsten mithalten können.

 

Bei Crooked Island hat sich die Flotte aufgeteilt. GB und wir segeln westlich vorbei, die anderen östlich. Wenn sich unsere Westroute als die schnellere herausstellt, haben wir eine Chance auf einen Scoring-Gate-Punkt, denn bei San Salvador, auf das wir jetzt zueilen, liegt ein Scoring Gate. Ich fahre schon das zweite Mal an San Salvador vorbei. Birke jedoch war schon mal richtig da, mit Julian, Janna und Leo. Sie wollten zwei Segel-Weltrekordler in Empfang nehmen, die jedoch wegen Schiffbruchs nicht ankamen. Die Insel ist ein einsames Fleckchen Land im Meer, mit einem Hotel, einem Dorf und einem Ferien-Club, der Individualtouristen nicht reinlässt.

 

Auf San Salvador hat Kolumbus erstmals den Boden der Neuen Welt betreten.

Natürlich hieß die Insel damals anders – wie, ist nicht überliefert – und wurde erst von Kolumbus San Salvador genannt. Dann geriet sie in Vergessenheit, später bekam sie den Namen Watling Island und jetzt heißt sie wieder San Salvador. Die Historiker vermuten allerdings, dass sie gar nicht das historische San Salvador ist, sondern dass Kolumbus auf einer Nachbarinsel ankam. Sein Originaltagebuch ist nicht erhalten, und die Tagebuch-Wiedergabe, die noch existiert, enthält keine eindeutige Beschreibung. Genaue Koordinaten gab es damals noch nicht.

 

Kolumbus, so sagt man, habe damals die zurückgelegten Strecken in seinem Schiffstagebuch kürzer gemacht, um bei den Crews keine Befürchtungen über den „Rand der Welt“ oder ähnliche Schrecken aufkommen zu lassen. Das ist Unsinn. Jeder Steuermann wusste damals, dass die Erde eine Kugel ist.

Kolumbus' Mannschaft verstand von Seefahrt so viel wie er und konnte die täglich gesegelte Entfernung genauso gut abschätzen wie er. Der Grund für die unterschiedlichen Entfernungsangaben: Im Logbuch benutzte Kolumbus die nautische Einheit der damaligen Zeit (portugiesische „leguas“, wenn ich mich recht entsinne), im Bericht für die Geldgeber deren gewohnte Einheiten. So wie wir im Bordgebrauch Seemeilen (= 1852 Meter) benutzen, für Laien unsere Entfernungen aber in Kilometer umrechnen könnten. Die Strecke von Qingdao nach New York beträgt über 10.000 Meilen, macht fast 20.000 Kilometer.

 

Seemeilen sind für Navigatoren sinnvollere Einheiten als Kilometer, weil 1 Seemeile genau einem 60stel Breitengrad und damit einer Bogenminute auf dem Sextanten entspricht. Unser Ocean Sprint beispielsweise, der heute Abend beginnt, wird über die Distanz zwischen 30° und 32° Nord gehen. Zwei Breitengrade sind genau 120 Seemeilen oder nautical miles, da braucht man in der Seekarte gar nicht nachzumessen.

 

Womit wir bei der Navigation an Bord wären. Sie findet ohne mich statt, weil ich nicht zu den Navigatoren (Bernd, Shelly, Lindsey, Roser) zähle und weil ich am Navi-Computer nicht rumspiele. Beim Training habe ich mit dem Programm Seapro navigiert und alles mögliche ausprobiert, aber hier haben wir eine aktuelle Version, und es ist mir zu riskant, irgendetwas zu verstellen oder gar zu löschen. Ich mache also gelegentlich die Navi-Statistik am Computer, navigiere aber überwiegend im Kopf. Ich schaue auf den Kompass, den Nordstern und gelegentlich auf den Kartenplotter und weiß meistens ziemlich genau, wo wir sind. Und welchen Kurs wir nach einer Wende halten können und wie wir ans Ziel kommen.

 

Falls wir also mal totalen Stromausfall haben, guys – mich könnt ihr immer fragen.

 

Den Race Tracker mit der aktuellen Position der „Switzerland“ sowie den anderen elf Teilnehmer-Booten findet ihr unter http://yb.tl/clipper2013-race11 und hier geht's zum vorherigen Artikel.