Elf Monate höchste Verantwortung. Eine Yacht beim Clipper Round The World Race zu führen, zählt zu den anspruchsvollsten Jobs, die die internationale Segelbranche zu bieten hat. Dieses
Jahr ist das erste Mal ein Skipper mit deutschem Pass dabei.
Igor Gotlibovych, 27, ist Skipper des Clippers "Qingdao" (hier im Rennen 2013-14). Der Physiker ist der jüngste der zwölf Skipper
Der schlanke junge Mann, der im südenglischen Gosport von der 70-Fuß-Rennyacht auf den Steg klettert, spricht Deutsch mit einer kernigen Note. Ist das rollende „R“ bayrischen Ursprungs?
„Vielleicht russisch“, sagt Igor Gotlibovych (27), Skipper des Clipper-Racers „Qingdao“. Er ist in Karkhov in der Ukraine geboren, ging in München zur Schule und studierte in England Physik.
Seine Vorfahren waren „vor etwa zehn Generationen“ in den Osten gegangen, heute garantiert die englische Schreibweise seines deutsch-russischen Namens eine korrekte Aussprache überall auf der
Welt.
Gotlibovych wird in den nächsten elf Monaten eine Yacht im Clipper Round The World Race um die Erde führen. Ein ungewöhnlicher Karriereschritt für einen Physiker, der in Cambridge promoviert und an Bose-Einstein-Kondensaten geforscht hat, einem für Nichtphysiker unbegreiflichen Gebiet der Quantentheorie. An Bord zählt nur, dass er ein fähiger Segler und Teamchef ist. Die meisten seiner Skipperkollegen haben vor ihrer Seglerkarriere einmal studiert und einen „normalen“ Beruf angestrebt, bevor sie Profisegler wurden.
Alle zwei Jahre erscheint im Internet eine Stellenausschreibung, die für hiesige Normalsegler so aussichtsreich klingt wie die Aufforderung, sich für den nächsten Flug zur Internationalen Raumstation zu bewerben. Es beginnt damit, dass man den Segelschein „Yachtmaster Ocean“ der Royal Yachting Association haben muss, dazu die Segellehrer-Lizenz („Instructor“) und Erfahrung mit der Führung von Schiffen und der Organisation großer Teams. Die Chance erhöht sich dadurch ein wenig, dass der Job immer im Dutzend vergeben wird.
Der Jobmarkt in der Hochsee-Segelwelt ist wahrhaft international, es spielt keine Rolle, ob man Franzose, Deutscher, Italiener oder Amerikaner ist. Wichtig ist, dass man an Bord passt – und im Falle der Clipper-Weltregatta bedeutet das, dass der künftige Skipper die „Philosophie“ seiner Auftraggeber verinnerlicht hat. Das Clipper-Race (siehe Kasten) ist eine Welt mit eigenen Spielregeln, deren oberste lautet: safety first. Dann kommen Sportsgeist, Genügsamkeit und ein paar andere sozial wertvolle Eigenschaften.
Nicht die unwichtigste ist Humor, gerade in Situationen, in denen niemandem zum Lachen zumute ist. Im eisigen Southern Ocean, als ein Orkan die Wellen auftürmte, meinte Skipperin Vicky Ellis (30): „Das ist hier ja wie Sommer in Schottland.“ Trainingsskipper Tom Jeffries mahnte seine Anfänger, sich ordentlich anzuleinen: „Wenn hier einer über Bord geht, habe ich einen Haufen Papierkram.“
Von viertausend Regattateilnehmern innerhalb von zwanzig Jahren sind nur vier über Bord gegangen, und alle wurden von ihren Skippern gerettet. Beim letzten Rennen dauerte die Rettung 90 Minuten, weil der Mann bei Sturm und Hagelschauern abgetrieben und im hohen Seegang außer Sicht geraten war. Skipper Sean McCarter ließ eine Frau als Ausguck in den Mast heißen, rief ein anderes Boot als Suchhilfe herbei, und leitete die Suche aus der Navigationszentrale. Er wurde später mit dem Rod-Stephens-Preis für „herausragende Seemannschaft“ ausgezeichnet.
Die Skipper bilden die Crews für das Rennen aus, aber sie trainieren dabei auch selbst den Umgang mit den Schiffen und ihren Leuten. Der Clipper-Skipper Brendan Hall hat über seine Zeit mit „Spirit of Australia“ ein Buch geschrieben („Team Spirit“). Es gibt Einsicht in die Gedankenwelt eines 27-jährigen Schiffsführers, dem das Führen viel bedeutet. Etwas Komisches in diesem eigentlich ernsten Buch ist die Nordpazifik-Passage. Hall steigt auf ein anderes Schiff um, dessen Skipper mit einem gebrochenen Bein abgeborgen wird, und muss in den folgenden Wochen erkennen, dass seine eigene Crew prächtig ohne ihn zurecht kommt. Eigentlich spricht das dafür, dass er bis dahin als Teamchef gute Arbeit geleistet hat, dennoch beunruhigt es ihn.
Auf den zwölf Yachten müssen Menschen aus vierzig Nationen miteinander zurecht kommen, und das unter strapaziösen Lebensbedingungen. Dem Skipper kommt dabei nicht nur die Aufgabe zu, das Schiff technisch kompetent zu führen, er – oder sie – muss auch Psychologe sein.
Die Bordroutine hilft dabei, dass das Leben in einer übers Meer jagenden Tropfsteinhöhle in geordneten Bahnen verläuft. Wachdienst, „Hausarbeit“, Aufgaben im Notfall – alles ist geregelt. Wer morgens um halb zwei geweckt wird und sich in feuchte Kleidung zwängt, der fühlt sich nicht misshandelt, sondern weiß, „such is life“. Trotzdem muss der Skipper rechtzeitig gegensteuern, wenn sich irgendwo Groll abzeichnet. Ein Skipper kann auch mal mit einem Donnerwetter den Unmut der Crew auf sich selbst ziehen. Und sie damit einigen.
Unbemerkt von den Crews, bilden die zwölf Skipper selbst ein Team. Sie konkurrieren zwar sportlich miteinander, dennoch sitzen sie gefühlt im selben Boot. Unmittelbar nach ihrer Ernennung gingen sie deshalb gemeinsam Bergsteigen in Wales. Gemeinsam schultern sie die Aufgabe, ihre Crews, die sich aus Amateuren unterschiedlichster Vorbildung zusammensetzen, heil um die Welt zu führen.
Auch für die gute Stimmung an Bord sind die Skipper verantwortlich. Denn das Rennen soll, auch wenn es anstrengend ist, den Seglern als ein positives Abenteuer in Erinnerung bleiben. Die Skipper haben deshalb teambuilding-Treffen mit ihren Crews gemacht, Facebook-Netze aufgebaut und ein Spiele-Repertoire für Flautentage entwickelt. Mal wird ein Filmmusik-Quiz oder eine Singlebörse über Funk veranstaltet, mal zaubern sie einen „bunten Abend“ aus dem Hut. Die Crews, mit denen sie ihren Job bewältigen müssen, sind keine schlichten Befehlsempfänger, sondern sie zahlen dafür. Das erfordert seitens der Skipper Fingerspitzengefühl, Führungstärke und Geduld.
Wer sich um den Job als Clipper-Skipper bewirbt, sollte etliche tausend Seemeilen als Crewmitglied, Wachführer und Skipper vorweisen können. Er (oder sie) muss das komplexe System Hochsee-Rennyacht verstehen und instand halten können: Computer, Maschine, Trinkwassererzeuger, Pumpen, Gasanlage. Die gelernte Ingenieurin Vicky Ellis (30) war nach Einschätzung ihrer Crew „ziemlich gut darin, Generatoren und sowas auseinander zu nehmen.“
Da an Bord Englisch in allen globalen Dialekten gesprochen wird, müssen die Skipper perfekt Englisch sprechen (und verstehen), was bei Bewerbern aus dem Ausland nicht selbstverständlich ist. Für Igor Gotlibovych, einem von 150 Bewerbern um den Topjob bei der Weltregatta, kein Problem. Der Skipper von „Qingdao“ ist ein segelnder Weltbürger.
Mann über Bord im Nordpazifik. Bugmann Andrew Taylor gerät bei Sturm und hoher See außer Sicht und ist erst nach 90 Minuten wieder an Bord. Sein Skipper Sean McCarter (u.) wird für
"herausragende Seemannschaft" ausgezeichnet
Fotos: Clipper Ventures (5), Schack
"Wie Sommer in Schottland..." - Clipper Racer im Orkan im Southern Ocean. Vicky Ellis (li.) war die erste Frau, die eine Clipper-Yacht um die Welt geskippert hat. Die Ingenieurin löst Probleme im Maschinenraum gern selbst
Hans-Harald Schack ist Journalist und segelt. Er schreibt Magazin-Reportagen und Bücher, macht Lektorate und Übersetzungen. Mit dem Clipper Round The World Race segelte er von China nach San Francisco und durch den Panama-Kanal in den Atlantik. Sein Web-Log und Reportagen darüber gibt es als e-Book und als Buch: "Von Qingdao nach New York". Zur Zeit ist er mit dem 1971 gebauten S&S-Halbtonner "Topas" in Nordeuropa unterwegs. Das Schiff ist übrigens zu verkaufen!